Leben mit OI (Glasknochen)

 

                                                        

 

Meinen ersten Knochenbruch hatte ich bereits mit 9 Monaten. Ich wollte nach einem Spielzeug vor mir greifen und da hat es ganz laut geknackt. Ich habe furchtbar geschrieen und keiner wusste genau was mir fehlte. Meine Mutter vermutete zuerst, dass ich mir den Rücken verrenkt hatte und erst im Krankenhaus hat sich dann herausgestellt, dass es sich um einen Oberschenkelbruch handelte. Danach hatte ich einen Knochenbruch nach dem anderen und bis zur Pubertät hatte ich über 100 Knochenbrüche. Eine genaue Anzahl weiß ich nicht, da meine Eltern bei 100 aufgehört haben zu zählen.
 

 

Die Art wie die Knochenbrüche entstanden sind, war sehr unterschiedlich. Es reichte schon aus, wenn ich mich irgendwo gestoßen habe, oft passierte es beim plötzlichen Anspannen der Muskeln, oder bei unvorsichtigen Bewegungen, oder einfach nur bei Übermüdung.

Die Folge waren dann längere Krankenhausaufenthalte, bei denen man ca. 6 Wochen in einem Streckverband mit den Beinen nach oben lag. Die Beine wurden durch Gewichte gehalten, die bewirken sollten, dass die Knochen gerade zusammenwachsen. Nach dem dieser Streckverband entfernt wurde, gab es dann für mehrere Wochen noch einen Liegegips.

Mit der Einlieferung ins Krankenhaus haben meine Schwester und ich wirklich alle Varianten durchgemacht. Hier einige Beispiele: Man kam morgens aus dem Krankenhaus und ging abends mit einem neuen Knochenbruch wieder rein, oder einer von uns kam morgens raus und der andere ging abends rein. Häufig hatten wir auch den Fall, dass einer von uns im Krankenhaus war und kurze Zeit (viel war ein paar Tage) später machte die Krankenschwester die Türe auf und sagte ganz begeistert: „Ich habe hier jemanden für dich.“ Der schlimmste Fall war, als man am Entlassungstag nicht aus dem Krankenhaus kam, weil man dort aus dem Bett gefallen ist und sich wieder einen Bruch zugezogen hat. Die schlimmste Zeit der Knochenbrüche war immer in der Weihnachtszeit. Komischerweise passierten sie auch meistens kurz vor Weihnachten und man musste zittern, weil man nicht wusste ob man Weihnachten überhaupt zu hause sein kann, oder im Krankenhaus bleiben muss. Dazu kam, dass der Krankenhausaufenthalt damals noch weit unangenehmer war, als er heute ist. Ich kann mich noch daran erinnern, dass es damals nur sehr kurze Besuchszeiten gab, die auch sehr streng kontrolliert wurden. Ich kann mich auch noch an einen Krankenhausaufenthalt erinnern, bei dem ich gar keinen Besuch im Zimmer haben durfte und meine Eltern durften nur mit einem Telefon vom Balkon aus mit mir telefonieren. Ich war damals noch sehr klein und es war einfach schrecklich. Du siehst Deine Eltern und kannst sie noch nicht einmal umarmen. Damals gab es leider noch nicht die Möglichkeit, dass die Eltern dann im gleichen Zimmer übernachten durften.

Vom Krankenhauspersonal wurde man immer freudig begrüßt und jeder kannte einen. Hallo Silvia, na auch mal wieder da? Was hast du denn wieder gemacht? Oft kam man sich aber auch wie ein Außerirdischer vor, der gerade von einem anderen Stern gelandet ist. Man wurde von jedem erst mal genau begutachtet und jeder wollte den „Außerirdischen“ sehen . Da diese Krankheit damals kaum bekannt war, war es für die Ärzte natürlich auch etwas besonderes, so einen Lebendfall einmal zu haben. Besonders beliebt war auch der Test, den der Oberarzt mit seinen Assistenzärzten, am „Lebendobjekt“, durchführte. Der Assistenzarzt durfte raten mit welcher Art von Krankheit er es hier zu tun hat. Der Oberarzt hat auch gerne Tipps gegeben, wie z. B.: “gucken sie der Patientin mal genau in die Augen“. Bei OI-Betroffenen ist das Augenweiß, die Skleren, bläulich. Es war also schon ein sehr heißer Tipp.

Ich fand es immer schrecklich und zum Glück ist es heute, da die Krankheit doch schon etwas bekannter ist und die meisten Ärzte zumindest schon mal von der Krankheit gehört haben, nicht mehr so schlimm. Vorkommen tut es aber trotzdem noch ab und zu. Als ich vor ein paar Jahren wegen Schilddrüsenbeschwerden mal im Krankenhaus zur Beobachtung lag, hat mich ein Arzt mit zum Unterricht von seinen Schwesterschülerinnen genommen. Dort war ich natürlich eine Attraktion, denn so einen interessanten Krankheitsfall hatten sie wohl noch nicht zu sehen bekommen. Manchmal fand ich diese Begutachtungen lustig, aber manchmal gingen sie mir auch tierisch auf die Nerven. Es kam immer ganz auf die eigene Gemütsverfassung an.

Zu dieser Zeit konnte ich überhaupt nicht laufen und musste getragen werden. Stehen konnte ich erst viel später und das ging auch nur mit festhalten und dann auch nur ganz kurz.
In der Wohnung bin ich auf dem Po oder auf den Knien über den Fußboden gerutscht und so waren meine Schwester und ich dann in der Lage uns fortzubewegen. Hierin waren wir auch sehr schnell.

Wenn endlich mal eine bruchfreie Zeit da war, haben wir zwischendurch immer wieder versucht zu stehen oder zu laufen. Doch sobald wieder ein Knochenbruch dazwischen kam, mussten wir wieder von vorne anfangen und es hat Monate gekostet, den vorigen Stand zu erreichen .

Die Schulzeit war Anfangs nicht so toll. In den Pausen musste ich alleine im Schulgebäude bleiben und durfte nicht mit auf den Schulhof. So konnte ich den Kindern nur beim spielen zusehen. Erst viel später, als ich zur Realschule wechselte wurde es besser. Diese Schule war damals die erste Schule die auch körperbehinderte Kinder aufgenommen hat. Hier gefiel es mir viel besser, da man dort fast "normal" behandelt wurde und ich nicht immer in Watte gepackt wurde.

 

 

Mit beginn der Pubertät ließen die Knochenbrüche langsam nach und ich konnte irgendwann auch langsam anfangen zu laufen. In der Schule habe ich dann den Rollstuhl, den ich bis dahin brauchte, nur noch vor mir hergeschoben, da ich diesen immer gehasst habe. Leider hat mich das aber einen Oberschenkeltrümmerbruch gekostet. Als ich mal wieder rollstuhlschiebend durch den Schulflur ging, bin ich ausgerutscht.
Dieses war mein schlimmster Knochenbruch (ein Oberschenkeltrümmerbruch), aber zum Glück (toi, toi, toi) auch mein letzter großer Bruch.

Mit dem Laufen lernen musste ich natürlich wieder von vorne anfangen, aber da ich ja jetzt etwas Ruhe vor Knochenbrüchen hatte, wurden die Muskeln immer kräftiger und das Laufen klappte immer besser. Zuerst nur am Arm meiner Mutter, aber später schaffte ich es auch alleine.

Es klappte sogar so gut, dass ich eine Ausbildung als Arzthelferin machen konnte. Mit dem Laufen ging es zu der Zeit auch sehr gut. Den Weg zur Arbeitsstelle konnte ich alleine gehen, nur im Winter wenn Schnee lag, musste meine Mutter mich noch begleiten.

Da ich nach der Ausbildung nicht sofort einen neue Arbeitsstelle gefunden habe, habe ich erst einmal den Führerschein gemacht, um so etwas beweglicher zu sein. Nachdem ich den Führerschein gemacht habe, habe ich noch einen 7 monatigen Laborfortbildungskurs in Essen besucht und danach habe ich sofort eine Stelle bei einem Kinderarzt gefunden. Hier habe ich hauptsächlich das Labor gemacht und hatte so die Möglichkeit viel im sitzen zu arbeiten.

Im selben Jahr habe ich meinen Mann kennen gelernt und 1992 fand unsere Traumhochzeit in Las Vegas statt.

 

 

Da wir uns auch ein Kind wünschten sind wir zu einer humangenetischen Beratung nach Münster gefahren. Dort wurde zuerst ein Stammbaum erstellt und wir mussten von einigen Verwandten Blutproben einschicken. Die Auswertung dieser Blutproben hat durch einige Pannen dann fast zwei Jahre gedauert. Das Ergebnis dieser Untersuchung war 50 : 50 für eine Vererbung der OI. Wir konnten es kaum glauben, denn wir waren nach diesen zwei Jahren genauso schlau wie vorher. Da wir aber genauso viele Chancen hatten ein gesundes Kind zu bekommen haben wir beschlossen, es trotzdem zu versuchen. Zum Glück!!!!

1996 war es dann, nach überstandenen Problemen mit der Schilddrüse, endlich so weit! Ich war schwanger! Angst, dass das Kind auch die OI bekommen könnte, hatte ich während der ganzen Schwangerschaft nicht.
Die gesamte Schwangerschaft verlief normal, es wurden nur regelmäßig Ultraschalle gemacht um so zu sehen, ob bei dem Kind schon Knochenbrüche zu sehen sind. Da ich während der ganzen Schwangerschaft unter starkem Erbrechen gelitten habe, habe ich kaum an Gewicht zugenommen. Nach der Geburt hatte ich sogar 10 Kilo weniger. Aufgrund der OI wurde die Geburt mit einem geplanten Kaiserschnitt am 08.11.1996 durchgeführt.

Und dann war sie da: J A N I N A , Gewicht 2690g, 48 cm groß um 15.17 Uhr geboren. Gleich als ich sie das erste mal gesehen habe, sind mir ihre blauen Skleren (ein typisches Zeichen für die OI) aufgefallen. Ein paar Tage nach der Geburt wurde bei Janina der Schädel geröntgt. An diesen Röntgenbildern konnten die Ärzte den Kalksalzgehalt der Knochen überprüfen. Erst zu diesem Zeitpunkt hatte ich das erste mal Angst, dass Janina auch die OI hat. Es war zum Glück alles in Ordnung. Um ganz genau zu wissen, ob sie betroffen ist, hätten wir ihr unter Narkose Knochenhaut entfernen lassen müssen. Auf diese Untersuchung haben wir jedoch verzichtet, da wir sowieso nichts hätten ändern können.

 

 

Bis jetzt hatte Janina sieben Knochenbrüche. Alle Knochenbrüche sind bei wilden Aktionen passiert und so kann man nicht sagen, dass sie unbedingt mit den Glasknochen etwas zu tun haben. Sie ist auch schon von einem Klettergerüst gefallen und es ist nichts passiert. Ich hoffe, es bleibt so.

Für mich gab es kurz nach Janinas Geburt gleich wieder neue Probleme. Nach einem Sturz 1993 hatte ich ständig Probleme mit meinem rechten Knie. Erst war es nicht so schlimm, aber im laufe der Zeit wurde es immer schlimmer. Die Bänder im Knie waren so locker, dass sie das Knie nicht richtig halten konnten. Mein Knie rutschte ständig weg und bei einer radiologischen Untersuchung wurde festgestellt, dass mein Kreuzband gerissen war. Nun musste ich erst mal einen Arzt finden der hier eine Operation wagt. Aufgrund der Glasknochen war dies gar nicht so einfach, aber schließlich habe ich nach langer Suche einen Arzt in Düsseldorf gefunden, der die Operation dann 1997 durchgeführt hat. Der Heilungsprozess nach der OP war sehr lang. Dauert es normalerweise 6 Wochen, hat es bei mir alleine schon 6 Monate gedauert, bevor ich überhaupt mit einer Teilbelastung anfangen konnte.

 

 

Man sollte ja meinen, dass es mir nach der überstanden Knie-OP super gut ging und ich eigentlich glücklich und zufrieden hätte sein müssen, da ich doch eigentlich alles hatte, ein gesundes Kind, einen lieben Ehemann und eine schöne Wohnung.

Dies war aber leider nicht so. Mit den Knochen ging es jetzt ganz gut, aber so, wie in vielen Ehen schlich sich bei uns der Alltag ein. Wir hingen nur noch zuhause und haben auch kaum noch etwas zusammen unternommen und wegen jeder Kleinigkeit flogen die Fetzen. Wir versuchen darüber zu reden, aber er verstand mich nicht und ich ihn nicht. Ich möchte raus hier, mal wieder etwas unternehmen, einfach nur mal Spaß haben. Rolf hatte keine Lust dazu, außerdem kam er mit seiner Lieblingsausrede, dass ausgehen teuer ist. Sachen die man machen kann, die kein Geld kosten, die fielen ihm nicht ein. Nein, so wollte ich nicht mehr leben, dass kann ich doch unmöglich bis an mein Lebensende so weiter machen! Auf dem Sofa sitzen kann ich auch noch wenn ich 70 bin. Es lief nichts mehr und langsam wurde es mir auch egal, na dann soll er doch auf seinem Sofa liegen bleiben, ich kann auch alleine etwas unternehmen. Ich hatte keine Lust mehr, der alleinige Unterhalter unserer Ehe zu sein. Dann kam Mr. X , er war das Gegenteil von meinem Mann. Mein Mann beachtete mich zu diesem Zeitpunkt kaum, Mr. X dagegen schon. Er hatte Zeit für mich, Verständnis usw.. Mr. X war aber leider nicht der für den ich ihn gehalten habe, nur bemerkte ich dies leider zu spät. Tja, wie sagt man so schön, Liebe macht blind? Da scheint tatsächlich etwas wahres dran zu sein, denn anders kann ich es mir nicht erklären, dass ich nicht viel früher gemerkt habe, dass etwas nicht stimmte. Schließlich endete das Ganze mit einem großen Knall.

Durch dieses Gefühlschaos und durch das gleichgültige Verhalten meines Mannes war unsere Ehe kurz vor dem Aus. Irgendwann haben wir es aber geschafft und uns ausgesprochen. Wir wollten es versuchen, schon unserer Tochter wegen, aber ich konnte meinem Mann nichts versprechen. Es hat ewig gedauert, bis wir wieder einigermaßen mit einander klar kamen und wir gingen langsam, Schritt für Schritt aufeinander zu..

Als wir diese Krise endlich überwunden hatten, haben wir uns für ein zweites Kind entschieden. Wie bei Janina auch schon, hatte ich Hormonstörungen, die diesmal mit Tabletten behandelt wurden und kurze Zeit später war ich tatsächlich schwanger. Wir waren so glücklich und mit unserem Krümelchen würde alles perfekt werden.

Leider war es nicht so. Bei einer Kontrolluntersuchung in der 9. Schwangerschaftswoche hat der Arzt festgestellt, dass Krümelchens Herz nicht mehr schlägt. Warum und wieso konnte mir keiner sagen. Nach dieser Fehlgeburt habe ich mich nur langsam erholt und als ich ein Jahr später dann wieder schwanger war, haben wir uns wieder riesig gefreut. Gut, bei der zweiten Schwangerschaft hatten wir Pech gehabt, aber wahrscheinlich war das Kind auch vorher schon krank und die Natur hat das alleine geregelt, aber die dritte Schwangerschaft wird bestimmt gut laufen. Sie verlief auch bis zur 12. Woche super und da mein Frauenarzt mir erklärt hatte, dass nach der 12. Woche die gefährlichste Zeit in der Schwangerschaft vorbei ist und dann eigentlich nichts mehr passieren kann, waren wir voller Zuversicht. Es kam aber wieder anders und so hatte ich am Ende der 12. Schwangerschaftswoche plötzlich Blutungen und bei der Ultraschalluntersuchung wurde wieder festgestellt, dass auch dieses Baby tot war.
 

Das Loch in das ich danach gefallen bin, war unendlich tief und nur durch die Liebe meines Mannes und die vielen Aufmunterungen meiner Eltern, meiner Schwester und meiner Freunde
bin ich aus diesem Loch wieder herausgekommen. Besonders das nachfolgende Gedicht, das ich in dieser Zeit von einer Freundin bekommen habe, hat mir sehr geholfen und wenn es mir heute mal schlecht geht, nehme ich es mir zu Herzen.

 

Nur nicht resignieren!
Zwei Frösche sprangen auf einer Weide in einen Eimer,
der zur Hälfte mit Milch gefüllt war.
Aber schon bald erkannten sie, dass sie auf normalem Wege
nicht wieder herauskommen würden.
Es fehlte ihnen einfach die Sprungfläche.
Sie ruderten und ruderten, bis schließlich einer der Frösche
sich sagte, dass es ja doch keinen Sinn habe,
sich abzumühen für nichts und wieder nichts.
Er hörte auf zu rudern, streckte alle viere von sich und ertrank.
Der andere ließ sich nicht entmutigen. Er ruderte weiter
und ruderte so lange, bis die Milch zu Butter geworden war.
Dann setzte er sich darauf und sprang ab und sprang in die Freiheit.

 
Auch im Jahr 2005 war dieser Spruch wieder wichtig für mich, denn auch meine vierte Schwangerschaft, die völlig überraschend war, endete in der 8. Woche mit einer Fehlgeburt. Auch nach dieser Fehlgeburt konnte mir keiner die Antwort auf mein "WARUM" geben und damit klarzukommen ist oft sehr schwer.


 
So sieht mein Leben jetzt aus:
 
Im Juni 2013 habe ich ein neues Kniegelenk bekommen. Vorausgegangen sind dem 16 Jahre größte Probleme, sowohl mit dem Knie, als auch mit Ärzten und Ämtern. Die ganze Geschichte könnte ihr unter der Rubrik "Neues Knie gesucht" nachlesen.
 
Auch jetzt bin ich immer noch in Behandlung mit dem Knie, da der Heilungsprozess bei mir natürlich nicht so läuft wie bei "Normalsterblichen", aber alles in allem ist die Belastbarkeit schon sehr viel besser, als vor der Operation. Ich hoffe auch, dass hier noch einige Verbesserungen möglich sind, aber es braucht auch sehr viel Geduld.
 
Durch eine beginnende Osteoporose habe ich ständig Rückenprobleme und auch der linke Fuß reagiert in der letzten Zeit schnell gereizt, wenn ich zuviel laufe, aber alles in allem bin ich trotzdem ganz zufrieden.
 
 
Ich versuche trotz der Behinderung ein normales Leben zu führen. Klar gibt es einige Einschränkungen, bei denen ich dann auf die Hilfe von anderen angewiesen bin. Ich habe aber auch festgestellt, dass man viel erreichen kann, wenn man nicht aufgibt und um seine Ziele kämpft.